Die Geschichte der Jodmangelprophylaxe in Deutschland
Die Gefahr, dass von einer Schilddrüsenvergrößerung große Teile der Bevölkerung betroffen sind, besteht vor allem in jodarmen Gebieten. Auch Deutschland zählt hierzu. Rund 30 % der Deutschen leiden unter einer Vergrößerung der Schilddrüse.
Vor diesem Hintergrund werden Speisesalz, das überwiegende Angebot an Lebensmitteln und Fertiggerichten, Essen in der (System-) Gastronomie sowie bestimmte Sorten Futtermittel für verschiedene Nutztiere, im Zuge der sogenannten Jodmangelprophylaxe, systematisch mit Jod angereichert.
Einführung und Umsetzung der Jodmangelprophylaxe
Jodsalz ist in Deutschland seit 1959 verfügbar. Es wurde zunächst ausschließlich als diätetisches Lebensmittel eingesetzt, um Schilddrüsenerkrankungen aufgrund von Jodmangel zu behandeln.
Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Deutschland als Jodmangelgebiet eingestuft hatte, begann 1981 eine breit angelegte Jodmangelprophylaxe.
Zur Vermeidung von Schilddrüsenerkrankungen sollte die Bevölkerung fortan flächendeckend zusätzlich mit Jod versorgt werden. Bis dahin waren Jodsalz-Verpackungen durch den Aufdruck „nur bei ärztlich festgestelltem Jodmangel“ gekennzeichnet, der nun gestrichen wurde.
Der Begriff „Jodmangelprophylaxe“ wird seither oftmals verkürzt mit „Jodprophylaxe“ wiedergegeben. Eine irreführende Bezeichnung, denn die damit verbundenen Maßnahmen dienen nicht dem Schutz vor Jod, sondern dem Schutz vor einem Mangel an Jod.
Um die gesellschaftliche Akzeptanz für die Jodmangelprophylaxe zu erhöhen, wurde 1984 der „Arbeitskreis Jodmangel“ gegründet – durch Präsidiumsmitglieder der Sektion Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE). Finanzielle Unterstützung erhält der Arbeitskreis von Unternehmen der deutschen Salzindustrie und den pharmazeutischen Herstellern von Jodtabletten.
Durch die Jodmangelprophylaxe gilt Jodsalz seit Ende der 1980er Jahre als Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs.
Es wird bei der Lebensmittelherstellung, in der Gastronomie und in Gemeinschaftsverpflegungen eingesetzt. Seit 1993 wird jodiertes Pökelsalz flächendeckend in der Wurst- und Fleischwarenherstellung verwendet. Bei unverpackten Lebensmitteln wie Brot, Backwaren oder Wurst müssen weder der Zusatz von Jod noch die enthaltene Jodmenge angegeben werden.
Seit 1995 werden auch Mineralfuttergemische für Vieh und Geflügel in der konventionellen Nutztierzucht wie auch im Bio-Bereich jodiert.
1996 führte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) das Jodsiegel („Gesünder mit Jodsalz“) ein. Auch Säuglingsnahrung wie Milch oder Breikost wird seit einigen Jahren mit Jod angereichert.
Zweifel am Jodmangelgebiet Deutschland
Zweifel an der Einschätzung der WHO, Deutschland sei ein Jodmangelgebiet, kamen 1994 auf. Das Bundesumweltamt führte in seinem Jahresbericht zum Thema Wasser merkwürdige Beobachtungen an: In manchen Strumagebieten herrsche kein Jodmangel und die gesteigerte Jodversorgung führe auch nicht zu einem Rückgang der Erkrankungen.
Als Ursache für den Jodmangel wurde stattdessen ein zu hoher Nitratgehalt des Trinkwassers ausgemacht.
Der Jodmangel beruhe auf der Konkurrenz von Nitrat und Jod zugunsten der Nitrataufnahme. Nitrate gelangen aus Gülle und künstlichem Dünger, seit einigen Jahren auch als Gärrest, aus Biogasanlagen in Böden und Grundwasser.
Andere Forschungsergebnisse zeigten, dass Huminsäure im Wasser rund die Hälfte der täglich aufgenommenen Jodmenge bindet und zu einer Schilddrüsenunterfunktion führt. Zudem wurde ein Vitamin-A-Mangel als Ursache für Jodmangel identifiziert: Zu wenig Vitamin A hemme das Bindungs- und Verarbeitungsvermögen der Schilddrüse.
In der Folge reduzierte die EU 2006 die Höhe der erlaubten Jodzusätze für Viehfutter von Milchkühen und Legehennen von 10 mg auf 5 mg Jod pro kg Futtermittel. Für alle übrigen Tierarten (z. B. Schweine, Mastgeflügel) wurde ein Höchstwert von 10 mg/kg Futtermittel festgesetzt.
Untersuchungen zu Beginn der 1990er Jahre belegten den natürlichen Jodmangel der deutschen Bevölkerung.
In der größten Studie war nur rund ein Viertel der 6.000 Probanden optimal mit Jod versorgt. Eine Studie aus dem Jahr 2005 zeigte schon bei 64 % eine ausreichende Jodausscheidung. Die Gründe für diese Entwicklung sahen die Forscher im hohen Jodidgehalt von Milch- und Milchprodukten, in der weitgehenden Verwendung von Jodsalz im Lebensmittel herstellenden Handwerk, in der Gastronomie und in der Lebensmittelindustrie.
Vor allem bei Kindern und Jugendlichen lässt sich das reichere Jodangebot nachweisen.
Der repräsentativen KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts aus den Jahren 2003–2006 zufolge erreichten die Kinder in Deutschland zu diesem Zeitpunkt im Median eine Jodausscheidung im Urin von 117 µg.
Die DGE sieht die wünschenswerte Jodausscheidung für Sieben- bis Zehnjährige bei 119 µg pro Tag. In der DONALD-Studie, die 1985 begonnen wurde, lag die mediane Jodausscheidung der Sechs- bis Zwölfjährigen 2004-2006 bei 86 µg Jod pro Tag, 2009 bei 80 µg pro Tag.
Jodmangelprophylaxe wird trotz Einschätzung der WHO fortgeführt
2007 hob die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Einstufung Deutschlands als Jodmangelgebiet auf. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bezeichnete trotzdem Deutschland noch 2012 als Jodmangelregion. Nach Meinung des BfR reichen weiterhin in Deutschland die in Lebensmitteln natürlicherweise enthaltenen Jodkonzentrationen nicht aus, um den notwendigen Jodbedarf zu decken. Das BfR geht davon aus, dass bei etwa 30 Prozent der Bevölkerung die Jodzufuhr immer noch unterhalb des geschätzten mittleren Bedarfs liegt.
Aus diesem Grunde sei weiterhin eine umfassende Jodprophylaxe erforderlich.
Auch der Arbeitskreis Jodmangel warnt vor der Einschätzung der WHO, dass Deutschland kein Jodmangelgebiet mehr sei, weiterhin vor einer Jod-Unterversorgung, da Böden und Grundwasser in Deutschland jodarm seien. Der natürliche Jodgehalt von heimischen Agrarprodukten reiche für die notwendige Jodzufuhr nicht aus. Die Prophylaxe mit Jodsalz stelle zudem kein gesundheitliches Risiko dar.
Auch Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen bereite die zusätzliche Jodaufnahme keine Probleme, ebenso wenig Jod-Allergikern.
Anfang 2013 konstatierte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), dass sich die Jodversorgung von Schulkindern zwar seit den 1990er Jahren zunächst verbessert habe, seit 2004 aber wieder rückläufig sei.
Mögliche Ursache sei der verringerte Einsatz von Jodsalz in der Lebensmittelproduktion: Geschätzt weniger als 30 % der Nahrungsmittelhersteller setzten inzwischen Jodsalz ein. Als Gründe seitens der Salzproduzenten wurden genannt: Handelshemmnisse auf EU-Ebene, Billigimporte von nicht-jodiertem Speisesalz und nicht-jodierten Fertigprodukten, Preisunterschiede zwischen jodiertem und nicht-jodiertem Speisesalz. Die DGE befürwortet daher, den Jodgehalt von Speisesalz zu erhöhen.